Historische Moorkulturlandschaften

Die Moorlandschaften Niedersachsens, wie wir sie heute vorfinden, unterliegen einer langen Entwicklungsgeschichte. Nach der letzten Eiszeit entwickelten sich in den nacheiszeitlichen Landschaftsstrukturen durch die dynamischen Prozesse der Natur, vorrangig bedingt durch ein kühles gemäßigtes Klima mit einem Wasserüberschuss in der Landschaft, Moore (vgl. Entstehung der Moore).

Die nassen, teils nährstoffarmen, zum Teil überschwemmungsgefährdeten und somit siedlungsfeindlichen Moorlandschaften, wurden erst spät vom Menschen überformt. Die Nutzung beschränkte sich zunächst auf die Gewinnung von Wiesenkalk, den Abbau von Brenntorf und die Förderung von Raseneisenerz.

Moorkulturlandschaften

Es entstanden zunächst durch Entwässerung und bäuerlichen Handtorfstich zur Brenntorfgewinnung sowie der Anlage von Mähwiesen vorindustrielle, aus heutiger Sicht historische Moorkulturlandschaften. Mit der Zeit entwickelten die Menschen immer neue Verfahrensweisen zur Moorkultivierung und Moorbesiedlung (siehe Abbildung), welche die Moorlandschaften stets veränderten und überprägten. Windmühlen wurden errichtet, um Entwässerungspumpen anzutreiben. Durch die Moorkolonisation entstanden für Niedersachsen typische Kulturlandschaften [5].

Im Vergleich zu den Hochmooren wurden die Niedermoore in Niedersachsen landwirtschaftlich früh genutzt. Durch Gräben wurden zuerst die Randbereiche entwässert und in der sogenannte Niedermoorschwarzkultur als Grünland bewirtschaftet, als Wiesen und Weiden direkt auf dem Torf der Moorböden  [6]. Im 11./12. Jahrhundert begannen zuerst Mönche verschiedener Ordensgemeinschaften, die trockeneren Randbereiche größerer Niedermoore zu besiedeln und zu kultivieren [2]. So zum Beispiel durch die Zisterzienserklöster wie Loccum am Steinhuder Meer (siehe Abbildung und Kultivierungsgeschichte) [1]

Die erste Phase der planmäßigen Moorkolonisation fand im Hochmittelalter in der Marsch statt. In dieser Zeit wurden niederländische Siedler mit speziellen wasserbaulichen Kenntnissen angeworben, die große Moorgebiete in der Wesermarsch, an der Unterelbe und im Bremer Holler- und Blockland besiedelten und kultivierten.

Im 17. Jahrhundert begann die zweite Phase der Moorkolonisierung und es wurden die ersten Fehngebiete nach niederländischen Vorbild angelegt (vgl. Kultivierungsmaßnahmen). Im 18. Jahrhundert folgten dann die Hannoversche Moorkolonisation zwischen Weser und Elbe sowie die Preußische Moorkolonisation in Ostfriesland. Die neu im Moor angesiedelten Bauern, hatten es schwer. Der niederdeutsche Spruch „Den Eersten sien Dod, den Tweeten sien Not, den Drütten sien Brod“ (Des Ersten Tod, des Zweiten Not und des Dritten Brot) galt wohl in allen Moorgebieten. 

 

 

„Den Eersten sein Dod,

den Tweeten sein Not,

den Drütten sein Broad“

 

Seit dem 17. Jahrhundert wurden Kanäle quer durch die Moore gebaut und mit Anlagen ausgestattet (Klappbrücken, Schleusen, Klappstaus), um einen Abtransport des Torfes mit speziellen flachen Booten in die Städte zu ermöglichen.

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Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Deutsche Hochmoorkultur entwickelt und weitere großräumige Gebiete besiedelt und mit Hilfe des mittlerweile erfundenen Mineraldüngers in intensive Nutzung genommen. Ab der Nachkriegszeit setzten, zu Beginn der Not geschuldet, später vom technischen Fortschritt getrieben, großflächig Torfabbauprojekte und Moorkultivierungen durch Tiefpflügen (Sandmischkultur) ein. Die ursprünglichen Moorlandschaften in Niedersachsen sind weitläufig vorherrschenden, intensiv genutzt Moorkulturlandschaften gewichen. Die wenigen verbliebenden naturnahen Moorflächen stehen unter Naturschutz.

Wie Sedimentschichten überlagern sich die Phasen der unterschiedlichen kulturellen Überprägung mit den Ideen der Menschen ihrer Zeit und den stets eng verzahnt ablaufenden Prozessen der dynamischen Natur. Landschaft und Mensch haben sich dabei schon immer wechselseitig geprägt. Je nach Region finden sich heute charakteristische Moorkulturlandschaften, deren geschichtliche Entwicklung in ihrem heutigen Erscheinungsbild sichtbar geblieben ist. Insbesondere die historischen Moorkulturlandschaften sind landeskundlich von hoher Bedeutung. 

Die Karte Erhalt Moorkulturlandschaften zeigt, mit u. a. Hollerkolonien, Fehngebieten, Findorffsiedlungen und historischen Handtorfstichen, typische historische Moorkulturlandschaften in Niedersachsen von landesweiter Bedeutung. Einige charakteristischen Beispiele werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Im Gebiet der Holler-Siedlung Moorriem in der Wesermarsch gehen mehrere Reihendörfer ineinander über – alle Häuser stehen entlang einer einzigen etwa 10 km langen Straße. Dabei steht jeder Hof auf einer „Hufe“, die sich schmal und kilometerlang ins Land hinein streckt (siehe Abbildung)/Karte). Die nicht selten in leichtem Bogen verlaufenden Hufen werden durch Entwässerungsgräben voneinander abgegrenzt. Dieses typische Siedlungsbild entspricht dem der Moorhufendörfer [7].

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© Zietz

Moorriem - die einzelnen Flurstücke sind schmal und von Gräben umgeben [7].

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Moorriem - typisches Siedlungsbild der Marschhufendörfer. Jeder Hof steht auf einer Hufe, die sich schmal und kilometerlang ins Land hinein erstreckt [7].

Jehringsfehn ist eine wenig überprägte Fehnsiedlung, in der sich die Bebauungen an einem gradlinigen Netz von Kanälen und Straßen aufreiht (siehe Abbildung). Der Haupterwerb bestand bis ins 19. Jh. im Verkauf des vor Ort abgebauten Hochmoortorfs, der über die Känale verschifft wurde [7].

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© Zietz

Jehringsfehn -  über die Kanäle wurde der abgebaute Hochmoortorf verschifft [7].

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Jehringsfehn -  ein gradliniges Netz von Kanälen und Straßen prägt das Gebiet [7].

Das Teufelsmoor um Worpswede ist geprägt durch viele repräsentative und gut erhaltene Moorhufendörfer mit ihren typischen Flurformen. Diese Siedlungen wurden zwischen 1751 und etwa 1860 vom Hannoverschen Moorkommissar Jürgen Christian Findorffs in den bis dahin unbesiedelten und unkultivierten Mooren gegründet. Worpswede ist durch die 1888 gegründete „Künstlerkolonie Worpswede“ bekannt, wo namhafte Künstlerinnen und Künstler wie u. a. Fritz Mackensen, Paul Modersohn-Becker, Otto Modersohn und Fritz Overbeck lebten und wirkten (vgl. Moore in der Kultur) [7].

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© Zietz

Teufelsmoor um Worpswede - von Gräben gesäumte Straßen mit Birkenalleen, an welchen sich die Häuser der Findorff-Siedlung reihen [7].  

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Teufelsmoor um Worpswede - die planmäßige Moorkoloisierung mir ihren historischen Siedlungs- und Flurstrukturen ist bis heute gut erhalten und zu erkennen [7].

Das Pietzmoor im Heidekreis wurde seit dem 16. Jahrhundert durch bäuerlichen Handtorfstich zur Brenntorfgewinnung abgetorft. Ein industrieller Torfabbau hat hier hingegen nie stattgefunden. Die Abbaugruben, so genannte Pütten, können mehrere Meter mächtig sein, da die Moormächtigkeit im Pietzmoor bis zu 7,5 m beträgt.  Zwischen den Pütten ließ man schmale Torfabfuhrdämme stehen, auf denen man tief ins Moor vordringen konnte. In den 1970-er Jahren wurde das Moor wiedervernässt und es bildeten sich in den einstigen Pütten offene Moorgewässer [7].

Pietzmoor in der Lüneburger Heide.
© mauritius images / Annett Schmitz

Pietzmoor - Pütten/Abbaugruben sind seit der Wiedervernässung größtenteils überstaut und mit Wasser gefüllt.  

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Pietzmoor  - aus der Preußische Landesaufnahme (1877 - 1912) geht die räumliche Verteilung der ehemaligen Pütten und der schmalen Streifen, welche man stehen ließ, um auf diesen tief ins Moor zu gelangen (Torfabfuhrdämme) hervor. 

Kulturlandschaftselemente

Alle Landschaften – nicht nur die historischen Moorkulturlandschaften – verfügen über historische Kulturlandschaftselemente. Dabei werden die Bestandteile der Landschaft, welche die Spuren menschlichen Wirkens aus abgeschlossenen Nutzungsepochen noch heute in der heutigen Landschaft erkennen lassen, als Kulturlandschaftselemente bezeichnet [3]. Typische, allerdings nicht in allen Fällen in eigentlichen Sinne historische Kulturlandschaftselemente der Moorlandschaften sind Entwässerungsgräben, Klappbrücken, Schleusen, Klappstaus, historische Torfstiche, Torfstichwände, Torfabfuhrdämme etc. Einige dieser Kulturlandschaftselemente werden im Folgenden dargestellt und mit Kurztexten erläutert.  

Rechtlicher Hintergrund und Zielsetzung

Laut Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) § 1 Abs. 4 Nr. 1 gilt, dass zur dauerhaften Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswertes von Natur und Landschaft insbesondere Naturlandschaften und historisch gewachsene Kulturlandschaften, auch mit ihren Kultur-, Bau- und Bodendenkmälern, vor Verunstaltung, Zersiedelung und sonstigen Beeinträchtigungen zu bewahren sind.

Ziel ist es daher, den Charakter und die kulturhistorischen Merkmale von Moorlandschaften (u. a. Hollersiedlungen, Fehngebiete, Findorffsiedlungen, historische Handtorfstiche) bei zukünftigen Eingriffen in die Landschaft zu berücksichtigen. Bei allen Bauvorhaben und Bodennutzungen, aber auch bei Renaturierungen und bei Lebensraumaufwertungen sind diese kulturhistorischen Merkmale der Moore zu berücksichtigen und zu erhalten, sofern das nicht im Widerspruch zu anderen vorrangigen Zielen, z.B. des Arten- und Biotopschutzes steht.

Ausblick

Das einzig stete ist der Wandel – so auch in der Landschaft. Schon vor dem menschlichen Einfluss auf die Landschaft hat sich diese stetig verändert und war nie in einem starren oder stabilen Zustand. Daher wird sich die Landschaft auch in der Zukunft immer verändern. Auch die Entwicklung künftiger Moorkulturlandschaften, mit neuen Nutzungen und neuen Kulturlandschaftselementen, ist in diesem Kontext zu sehen.

Wichtig ist allerdings, dass man sich über die Landschaft, ihre Geschichte, ihre Besonderheiten und ihre Qualitäten im Klaren ist und man bei künftigen Entscheidungen bewusst damit umgeht. Es sollte im Sinne der Menschen vor Ort aber auch der Allgemeinheit vermieden werden, dass der Charakter der jeweiligen Moorkulturlandschaft mit ihren Kulturlandschaftselementen aus Unkenntnis oder Unachtsamkeit verloren gehen und die gewachsene Eigenart der Landschaft dadurch überprägt wird. 

Kulturlandschaften, deren geschichtliche Entwicklung im heutigen und zukünftigen Landschaftsbild sichtbar bleiben, geben dem Menschen die Möglichkeit, die Gegenwart als ein Resultat der Vergangenheit zu begreifen. Dieses Verständnis für historische Bezüge in der Kulturlandschaft ist identitätsstiftend und ist ein Grundstein für Verbundenheit und Heimatgefühl. „Eine Identifizierung mit Landschaft fördert deren Wertschätzung und den verantwortungsvollen Umgang mit ihr“ [4].

 
Literatur

[1] Behre, K.‑E. (2008). Landschaftsgeschichte Norddeutschlands. Umwelt und Siedlung von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Neumünster: Wachholtz Verlag.

[2] Blankenburg, J. (2015). Die landwirtschaftliche Nutzung von Mooren in Nordwestdeutschland. Telma, (5), 39–58.

[3] Küster, H. (2012). Die Entdeckung der Landschaft. Einführung in eine neue Wissenschaft. München: Beck.

[4] Küster, H. & Harms, A. Vorwort. In Niedersächischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) (Hrsg.), Kulturlanschaftsräume und historische Kulturlandschaften landesweiter Bedeutung in Niedersachsen. Landesweite Erfassung, Darstellung und Bewertung. Hannover.

[5] Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz (Hrsg.). (2016). Programm Niedersächsische Moorlandschaften. Grundlagen, Ziele, Umsetzung. Hannover.

[6] Schmatzler, E. & Schmatzler, B. (2010). Moorland. Moorlandschaften in Niedersachsen nach industriellem Torfabbau. Ratingen.

[7] Wiegand, C.. Kulturlanschaftsräume und historische Kulturlandschaften landesweiter Bedeutung in Niedersachsen. Landesweite Erfassung, Darstellung und Bewertung (Niedersächischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Hrsg.) (Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen 49). Hannover.

NLWKN: Alexander Harms & Lennard Heidberg (2023)